Page 244 - Karmen Pižorn, Alja Lipavic Oštir in Janja Žmavc, ur. • Obrazi več-/raznojezičnosti. Ljubljana: Pedagoški inštitut, 2022. Digitalna knjižnica, Dissertationes 44
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d auch begründet) werden; denn ein Verbot bezieht sich nicht auf die
Ausformulierung, sondern es erfordert geradezu die Versprachlichung. Ta-
bus hingegen setzten voraus, dass Mitglieder einer Gesellschaft aufgrund
ihrer Sozialisation wissen, wo die Grenzen des Machbaren und Sagbaren
verlaufen (Schröder in Hägi-Mead, 2017, S. 213).

Im Zusammenhang mit den Berufsintegrationsklassen scheint die De-
finition von Zöllner am besten den Begriff Tabu zu erklären. Unserer Mei-
nung nach handelt es sich nämlich auch um einen Teil des sozialen Kodexes
einer Gemeinschaft, der festschreibt, welche Handlungen und Verhaltens-
weisen nicht ausgeführt werden sollen, über welche Themen nicht kommu-
niziert werden soll und welche Wörter vermieden werden sollen. Es kann
jedoch um verschiedene Gemeinschaften gehen – je nachdem, welches Ta-
buthema im Mittelpunkt steht. Das Thema Sexualität hängt meistens mit
der religiösen Gemeinschaft zusammen. Aber auch das Thema Asylstatus
wird im Zusammenhang mit der Klassengemeinschaft oft zu einem Tabu-
thema. Dies wird noch später näher erklärt.

Mit der Behauptung von Riemann (Riemann in Bouchara, 2010, S.
114), dass Tabus eine wichtige Funktion in der Sicherung der Herrschafts-
verhältnisse innenhätten und dass sie besonders wirksame Mittel sozialer
Kontrolle seien, sind wir nicht ganz einverstanden. Denn inwieweit die Ta-
bus eine solche Funktion haben (können), hängt wieder von der Art des
Tabus ab. So zum Beispiel auch das nächste Tabuthema, welches in den
Berufsintegrationsklassen vorkommt, nämlich wie die Migranten und
Migrantinnen nach Deutschland geflüchtet sind. Dies hat nichts mit den
Herrschaftsverhältnissen, sondern mit den traumatischen Erlebnissen zu
tun. Aus demselben Grund darf für unsere Zwecke auch die Definition von
Hägi-Mead nicht vollständig übernommen werden, da es ihrer Meinung
nach deutlich werde, dass Tabus etwas mit der Öffentlichkeit zu tun hätten
(Hägi-Mead, 2017, S. 213). Die Tabus sind also unseres Erachtens nicht nur
ein Resultat einer Gesellschaft, sondern auch das eines Individuums, da sie
oft mit dem persönlichen und dadurch individuellem Empfinden der Er-
eignisse (wie z.B. der Flucht) zusammenhängen.

4.2.1 Kategorien der Tabus
Tabusysteme beziehen sich im Wesentlichen auf Tod und Religion, auf Ge-
sundheit und Krankheit, auf Geld und Sex (vgl. Birk & Kauzner in: Lütti-
ch-Hess, 2017, S. 128). Aufgrund einer gewissen Menge an Tabus kann man
diese folgendermaßen kategorisieren:

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